Reinickendorfer Eiswerke I

Reinickendorf 2013-2013 1Vermutlich das erste Eiswerk Deutschlands entstand am Reinickendorfer See, heute bekannt als Schäfersee. Hier gründete Hermann Eduard Mudrack 1856 ein Natureiswerk an der Residenzstraße 31. Er gewann aus dem gefrorenen Seewasser Stangeneis und verwahrte es in Holzschuppen, die mit Torf isoliert waren, bis zum Sommer. Den Vertrieb überließ Mudrack Eishändlern, deren Zahl sich laut Adressbuch von 1903 auf 36 belief. Abnehmer waren Gaststätten, Konditoreien, Fleischereien und private Haushalte, die das Stangeneis in eigens dafür gebauten Eisspinden verwahrten, den passiven Vorläufern der heutigen Kühlschränke. Die Stadt Berlin wuchs rasant und mit ihr die Produktionszweige, die bei der Herstellung ihrer Produkte auf Kühlung angewiesen waren. Brauereien benötigten Eis für die Kühlung der Bier-Würze, für die Gärbottiche und für die Brauereikeller.

Schlachthäuser, Markthallen und Butterproduzenten brauchten Kühlung. Schokoladenfabriken, Kerzenhersteller und Zuckerproduzenten benötigten Eis zur Kristallisation ihrer Produkte in gekühlten Erstarrungsräumen. Auch die in Mode kommenden Eislaufbahnen mussten mit Eis versorgt werden. Zum Werk von Mudrack gesellte sich das von Louis Thater, der seine Firma 1840 in der Müllerstraße gegründet hatte, und nun in die Residenzstraße 84–87 zog. In der Peck-Wische (Wiese) zwischen Nordbahn und Roedernallee ließen sich die Firmen von R. Meyer sowie Kaps & Gütermann nieder, die bis 1927 Natureis herstellten. Da die Wasserversorgung des Schäfersees durch den Blockgraben nicht ausreichte, wurden nördlich des Sees 5 Solebecken angelegt, die auf Plänen noch bis 1920 zu finden sind. 1911 errichtete Mudrack in der Thaterstraße 21 eine Kunsteisfabrik mit einem Produktionsvolumen von 300.000 kg/Tag. An der Baseler Straße entstanden Werkswohnungen mit Eisbären als Bauschmuck sowie einer Bärengruppe aus Stein am Eisbärenweg. Die Fabrikanlage wich ab 1970 einer Wohnblockbebauung.

rdf2012Trotz ihrer Bedeutung für die Wirtschaftsgeschichte Reinickendorfs existieren außer einigen Fachzeitschriftartikeln kaum Unterlagen über die Firmen. Krisen, Kriege und Besitzerwechsel haben das Schriftgut der Wirtschaft zerstreut oder gänzlich vernichtet. Das Berlin-Brandenburgische Wirtschaftsarchiv hat die Aufgabe, Unterlagen zur Berliner Wirtschaft zu sichern und für die Nachwelt zu erhalten. Bitte geben Sie uns Hinweise auf solche Unterlagen (Festschriften, Werkszeitungen, Fotos, Patente, Jahresabschlüsse, Bilanzen oder Verträge).

Info:
Berlin-Brandenburgisches Wirtschaftsarchiv e.V., Eichborndamm 167, Haus 42, 13403 Berlin
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abgedruckt in: Reinickendorf kompakt 2011/2012, Verlag BfB Bestmedia4Berlin GmbH
Fotos: BBWA