Vom Bazar zum Modehaus Gerson

Mitte 2017 S 1 2 01020Die Entwicklungslinie des Warenhauses beginnt mit der orientalischen Kaufhalle für Luxuswaren (persisch Bazar), geht über die Pariser Passagen zu spezialisierten Bazaren wie Gersons, zum umfassenden Angebot des Kaufhauses und von dort wieder zu Einzelgeschäften unter dem Glasdach der Mall. Walter Benjamin hat in seinen "Passagen" das Prinzip des Warenhauses definiert als die um einen glasüberdachten Lichthof gruppierten Etagen, die einen Raum bilden, der mit einem Blick erfasst werden kann. Paris versendet die Signale, Berlin nimmt sie mit zeitlicher Verzögerung an.

Hermann Gerson (28.2.1813 - 2.12.1861) aus Königsberg in der Neumark übernimmt 1839 das Ladengeschäft Wald & Gerson in der Berliner Bauakademie unter eigenem Namen. Im gleichen Jahr gründen auch Rudolph Hertzog und Heinrich Jordan ihre Geschäfte. 1849 eröffnet Gerson am Werderschen Markt 5 seinen Bazar im ehemaligen Haus des Bankiers Schulz, das der Architekt Theodor August Stein zu einem dreistöckigen Gebäude mit großen Schau- und Bogenfenstern umgebaut hat. Es umfasst 800 m² Nutzfläche, zwei offene Verkaufsetagen, Lagerflächen und Ateliers. 240 Fachkräfte sind angestellt, davon 60 Näherinnen in Ateliers, weitere 1500 Heimarbeiter als Zulieferer. Der Lichthof erlaubt die Warenbetrachtung bei Tageslicht, ein Spiegelkabinett mit Kerzen die Wirkung im Innenraum.

Das Angebot des Bazars umfasst vor allem Textilien für die Innenausstattung: Teppiche, Gardinen und Seidenstoffe, aber auch konfektionierte (gebrauchsfertige) Kleidung, Weißwaren, Stickereien, Bordüren und Shawls (erst später eingedeutscht). Besonders die nach Pariser Schnitten angefertigten Mäntel sind begehrt und machen Gerson zum Hoflieferanten verschiedenster europäischer Dynastien. Parallel dazu gründet Ludwig Schäfer sein Modejournal "Bazar", das in 10 Sprachen übersetzt wird. Gerson seinerseits veröffentlicht eine Zeitschrift für Mode und Industrie, Kunst und Literatur, die ein Vorbild für die spätere Hertzogsche Agenda ist.

Mitte 2017 S 1 2 01406Mit den Gebrüdern Mannheimer, Rudolph Hertzog und David Leib Levin gehört Gerson zu den Begründern der Berliner Bekleidungsindustrie, die rund um den Hausvogteiplatz ansässig wird und die mit dem System der Zwischenmeister rund 100.000 Heimarbeiter beschäftigt. 1861 rühmt ein Berlin-Führer den Gerson'schen Bazar als das großartigste und bedeutendste Manufakturwarengeschäft Deutschlands. Der Markenname Gerson ist entstanden. Er erlaubt es Gersons Söhnen, die nach seinem Tod 1861 die Geschäftsführung übernommen haben, 1866 eine Villa in der Bellevuestraße 10 zu erbauen. 1890 verkaufen sie die Firma an die Teilhaberfamilie Freudenberg, die das Geschäft unter dem bewährten Namen fortführt. Auch nach der Arisierung und den Erwerb durch Herbert und Rolf Horn bleibt der Firmenname Gerson in Gebrauch.

Über viele Facetten der Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte gibt es heute keine Unterlagen mehr. Das Wirtschaftsarchiv hat die Aufgabe, Unterlagen zur Berliner Wirtschaft zu sichern und für die Nachwelt zu erhalten. Hinweise hierzu sind herzlich willkommen.

 

Info:
Berlin-Brandenburgisches Wirtschaftsarchiv e.V.
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Text: Prof. Dr. K. Dettmer