Das „Dorf“ Schöneberg 1896

schoeneberg 2017Der Bezirk Schöneberg verdankt seinen Namen einer im 13. Jahrhundert gegründeten Siedlung, die an der heutigen Hauptstraße gelegen hat. Kaum vorstellbar, aber Schöneberg war bis zur Verleihung der Stadtrechte 1898 ein Dorf, das zur Reichsgründung noch etwa viereinhalbtausend Einwohner hatte, zur Jahrhundertwende aber schon knapp 100.000. Hier spiegelt sich der explosionsartige Boom der Reichshautstadt Berlin wider, die über die angrenzenden Dörfer, Güter und Gemeinden rasch hinauswuchs.

1896 hatte das Dorf Schöneberg schon den Charakter eines Stadtviertels angenommen, auf den Hauptstraßen fuhren Pferdebahnen und Dampfstraßenbahnen, die en gros projektierten Wohnquartiere hatten Kanalisation sowie Gas- und Wasseranschlüsse. Im Mai 1896 wurde vom Nollendorfplatz ausgehend Gasglühlichtlampen zur Beleuchtung der öffentlichen Wege eingerichtet. Das infrastrukturelle Angebot und die Vielzahl hier wohnender Arbeitskräfte wurde auch von Fabriken und industriellen Unternehmungen genutzt. In der Hauptstraße 149 etwa residierte die Metallwaaren-Fabrik C.W. Motz & Co., in der jährlich 30 Millionen Reißbrettstifte gefertigt wurden. Der Erfolg des 1880 gegründeten Unternehmens gründete sich auf die aus einem Stück gefertigten Reißzwecken, wobei der Kopf nicht nur vernickelt oder verzinkt wurde, sondern auch mit gemusterten „farbigen Dessins“ geliefert werden konnten. Unter derselben Adresse firmierte auch die Fabrik F. R. Bischoff zur Herstellung von Gas- und Wasseranlagen sowie die Konfektionsschneiderei J. Hellmann.

Mehr als 1.00 Gewerbetreibeden zahlten in Schöneberg ihre Steuern: 350 Schankwirte, je 12 Bierverleger und Weinhändler, 68 Fleischereien, 57 Bäckereien, 24 Cigarrenhändler sowie 43 Klempner, Schlosser, Rohrleger und Schmiede. Die Bautätigkeit im Bezirk verschaffte 93 Baugeschäften (darin auch Maurer und Zimmerleute) gutes Auskommen. 16 Maler, 12 Töpfer, 6 Glaser, 20 Drogisten, 4 Asphaltleger, 18 Spiel- und Kurzwarenhändler für die Bedürfnisse der Lebenden standen 15 Bildhauereien und 12 Kranzflechtereien für die Bedürfnisse der Verstorbenen auf den Schöneberger Friedhöfen gegenüber. Dabei spiegeln diese Zahlen den verzerrten Ausschnitt einer Großstadt wider, der ohne die Nachbarbezirke nicht denkbar ist.

Über viele Facetten der Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte gibt es heute keine Unterlagen mehr. Das Wirtschaftsarchiv hat die Aufgabe, Unterlagen zur Berliner Wirtschaft zu sichern und für die Nachwelt zu erhalten. Hinweise hierzu sind herzlich willkommen.

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Text: B. Berghausen