Die Zehlendorfer Spinne

Zehlendorf 2013 13 Lotto Zitzewitz kZehlendorf war für die rasant wachsende Hauptstadt Ausflugsziel – Wälder und Seen laden noch heute ein – und Wohnort. Während die industrielle Stadterweiterung sich vor allem nach Südosten und Nordwesten mit Gewerbeansiedelungen voranging, entstanden in Zehlendorf vor allem Wohnhäuser, Stadtvillen und Einfamilienhäuser. Erst 1920 wurde Zehlendorf Bezirk innerhalb Berlins. Die Zehlendorfer hatten – neben anderen Dorfkernen – in Zehlendorf-Mitte ein kleinstädtisches Zentrum, in dem sie auch die Lotto-Einnahmestelle von Achim Götz von Zitzewitz finden konnten, die 1955 bereits ihr 40-jähriges Jubiläum feierte.

Große Industrieunternehmen hat es in Zehlendorf nicht gegeben. Eine Ausnahme bildete die Spinnstofffabrik Zehlendorf, von allen »Zehlendorfer Spinne« genannt. Sie ließ sich in dem Gewerbegebiet an der Goerzallee nieder mit Anschluss an die Bahn Berlin-Potsdam. Das Werksgelände hatte mittels eines Stichkanals auch Zugang zum Teltowkanal, der Voraussetzung für die industrielle Entwicklung des Berliner Südens gewesen war. Zuerst stand hier ab 1904 die Elberfelder Papierfabrik, die nach dem schweren Brand 1916 taumelte. 1919 begannen hier in der neu gegründeten Spinnstofffabrik Zehlendorf Wilhelm Wuppermann und Dr. Karl Leuchs mit der Kunstseideproduktion, wobei die Herstellung von Viskose-Kunstseide kein weit verbreitetes Verfahren war. Mit der Angliederung einer Färberei und einer Effektzwirnerei sowie ab 1934 der Fabrikation von Zellwolle war die »Spinne« erfolgreich und entwickelte eines neues Verfahren zur Nachbehandlung der Kunstseide auf der Spule. Die Autarkiepolitik verhalf der »Spinne« zu weitere Bedeutung, weil man sich von der Einfuhr von Baumwolle unabhängig machen wollte. Jüdischen Zwangsarbeitern kamen frühestens ab 1938 und spätestens bis Februar 1943, bis zur sogenannten “Fabrikaktion”, zum Einsatz. Ab September 1943 existierte ein Außenlager des KZ Sachsenhausen auf dem Gelände der Fabrik. Zwei weitere Lager für “zivile Zwangsarbeit” waren ebenfalls mit der Spinnstofffabrik Zehlendorf AG verbunden - das eine unter der Adresse “Am Gutshof 1-2” für 742 Personen (vornehmlich aus Italien und der Sowjetunion), das andere unter der Adresse “Alt-Schönow 14”. Mit der völligen Demontage der Fabrik 1945 und der Berliner Blockade 1949 stand das Unternehmen schlecht da, auch wenn die Unternehmensleitung unter Dr. Werner Winkel die Wiederaufnahme der Produktion bewerkstelligte.

Zehlendorf 2013-13 Zehlendorfer Spinne kIn den 50er Jahren stellten 1.400 Mitarbeiter bei der »Spinne« auch Perlon her, das 2013 75 Jahre alt wird, zog aber den Unmut der Zehlendorfer auf sich, weil die Fabrik »infame Gerüche« produzierte. 1960 stieg Hoechst bei der »Spinne« ein, die jedoch mit wechselvollem Erfolg fortbestand. Mit der Verschmelzung der »Spinne« auf die Hoechst AG endet ihre Geschichte.

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zuerst abgedruckt in: Zehlendorf kompakt 2012/2013 bei BfB Bestmedia for Berlin .

Text: B. Berghausen, Bilder: BBWA